Kunst aus der Akademie
im Café Künstlerbund
Bei den Bildern der Ausstellung „Kunst aus der Akademie” handelt es sich um eine bemerkenswerte Auswahl. Denn man könnte denken, hier, in einem Café, dem Cafe des Stuttgarter Künstlerbundes, könnten eher dekorative, zurückhaltende Arbeiten ihren Auftritt bekommen.
Wenn ich die Bilder der Reihenfolge der Hängung nach (beginnend nahe am Eingang) nenne, also mit den vier grossen Formaten von Mouna Mousavitabar beginne, dann wird gleich klar, dass diese Ausstellung etwas wagt und engagierte Bilder zeigt: Mouna Mousavitabars Titel sind „Vater Lebt nicht mehr, Es war eine schöne Zeit, ein Bild ohne Titel zeigt eine Frauengestalt mit Tuch oder Schal und es folgt Zaal und Phoenix, ein Bild zu einem Persischen Märchen. Verzweiflung der Kinder im ersten Bild, die Weisheit der alten Männer, interpretiere ich so, dass die Frage nach der Heimat in der Kultur gestellt wird. Ergänzt oder bildet die Kultur den Schutz, den die Familie, das Land, der Staat nicht mehr geben können? Ich Glaube, in diesen Bildern spricht sich - auch gerade in dieser Kombination - eine Hoffnung auf Kultur aus.
Vivien Ruxton zeigt uns hier eine sehr große Arbeit. Ein heller Bildraum zeigt uns zwei Pelikane im Vordergrund, Junge Menschen, vielleicht könnte man in ihnen jugendliche Hipster sehen. – Pflanzen und wenn man gut hinsieht: Mistkäfer. Da stellt sich die Frage nach der Beziehung, nach dem Sinn dieser fein gemalten Konstellation: Ich mag die Rätselhaftigkeit dieses Zusammenlebens. Es ist eine Gleichzeitigkeit von Unvergleichlichem, von Zivilisation und natürlichem Ambiente, die wie ein Zusammenleben verschiedener Kulturen wirkt. Teilen wir uns nicht diesen diesen Planeten und müssen verstehen lernen, warum dies so ist und wie es überhaupt geht? Aber vergessen wir nicht die kleine, fein detaillierte Arbeit von Vivien Ruxton, die daneben hängt: Einfach ein Knoblauch. Der taucht im Realismus seiner Malerei lapidar neben Farbflächen und feinen abstrakten Strukturen auf. Also auch hier ein genau ausgewogenes Kohabitieren von Verschiedenheit?
Auf dem Wandsegment daran anschliessend sehen wir die Bilder von Seulmina Lee. Sie leben von einer Spannung, die uns zur Reflexion von künstlerischen Ebenen. Bedeutungsebenen und Darstellungsmöglichkeiten führt. Naive Schönheit wird in der Welt der Medien zu erzwungener Schönheit. Technisch erzeugte und künstliche Schönheit wird hier durch Gesten gestört, die wie ein Graffiti funktionieren, wie eine Spontanreaktion, die die Perfektion stören will. Aber die Irritation bringt erstaunlicher Weise eine neue Balance im Bilde zustande. Dies lässt uns über die Individualität der auftauchenden Gesichter nachdenken: Das Gesicht, der Mensch, der immer wieder in Lee´s Bildern erscheint und uns anblickt ist Urheber der Selbstdarstellung, die die eigene Position reflektiert und manipulieren kann. Das Selbst glaubt, mit einer Ästhetik spielen zu können, ist aber letztlich betroffen von der ästhetischen Norm und unterliegt ihr möglicherweise.
Bis hier hin könnte ich noch einmal rekapitulieren: Diese Ausstellung reflektiert im Bild die Begegnung von Bildebenen und Kulturen. Die Bilder umfassen Spannungen und überraschen durch die Balance die auf der Bildfläche gefunden wird. Ich sage dies, weil wir zu einer anderen Betrachtungshaltung hinüber wechseln sollten, wenn wir die nun folgenden Werke anschauen:
Carmen Bemmerer ist eine Zeichnerin mit extrem konzentriertem Blick. Die Bilder erfordern und verdienen ein Nahe-Herantreten und sehr genaues Schauen. In den zwei grossen.. und bitte nicht vergessen in den 2 wunderbaren kleinen Blättern gegenüber….geht es um die Sorgfalt (nicht nur) des Sehens. Wir sehen verdorrte Pflanzen. Sich kräuselnde Blätter und Stängel, die wir wenig beachten würden. Dem Beiläufigen wird hier aber durch die intensive Betrachtung Bedeutung zugemessen. Die Kunstgeschichte lehrt uns, dass der Bau von Pflanzen, die Gesetzmässigkeiten die in den Formen zu sehen sind, schon früh bildwürdig wurden und die Verbindung und Nähe von Kunst und Wissenschaft beweisen. Bei Carmen Bemmerer ist der Raum der Zeichnung auch konzeptuell gedacht und gehört zu einer kognitiven Reflexion. Intensität ist hier aber auch Gegenreaktion gegenüber konsumierbaren Bilderfluten. Positiv formuliert entsprechen die Zeichnungen einer philosophischen, gedanklichen Schärfe und stellen die Frage: „Wie erkennen wir?” Und: „Schauen wir noch genau hin?”
Beate Herdtle präsentiert sich in dieser Ausstellung mit zwei sehr offenen Malereien. Wir sehen das Ringen um einen Bildraum, der vieles enthält: Fühlen und Sehen, Handschriftlichkeit und Charaktere von Oberflächen, Licht und Farbklang. Pinselhieb und Fläche. Der Blick taucht ein in die Poesie einsamer Orte. Man kann sich fragen: Warum zieht es uns so hin zu Orten, die nicht so gesichert und orthogonal geordnet sind? Brauchen wir etwa dieses visuelle Gegenüber, weil wir, auch wenn wir weit reisen, heute doch immer wieder in einander sich angleichenden Systemen landen? Tatsache ist, dass Beate Herdtle viel reist, skizziert und in ihren Bildern Erfahrungen transportiert. Von ihr kenne ich ein großes Engagement, um zu Ausstellungen zu reisen, um Bilder und Skulpturen im Original zu sehen. Die Erfahrungen, die Kenntnis, die sie mitbringt, verbinden sich mit ihren spontanen Beobachtungen und münden oft in gemalten Landschaften von denen wir hier zwei eindrucksvolle Beispiele sehen.
Unser „Quotenmann“ der Ausstellung, Tim Lechler, findet seine Fragen und Themen in der Begegnung von Menschen. Dass diese Begegnungen nicht unproblematisch sind und Untiefen in sich bergen, wissen wir. Tim Lechler findet in seinen Bildern auf Papier die Schwärze als Mittel, dies auszudrücken. Hier finden Begegnungen im Dunkel und heimlich statt und offenbaren darin ihre Problematik.Was darf sein, was will unbeobachtet bleiben, was ist kaum sichtbar und entzieht sich unserem Blick? Schaut man auf die 6 kleinen Blätter am Ende seiner Bilderreihe, so sind seine Köpfe, seine Figuren charakterisiert von der materiellen Struktur seiner Zeichenmaterialien, von durchgeriebenen Holzstrukturen oder untergelegten trockenen Blättern. Hier stellt sich die Frage nach ihrer Realität: Wieviel sehen wir aufgrund unserer Erfahrungen oder Seherfahrungen wertend in die Artefakte hinein? Sind sie etwas, oder erscheinen sie nur?
An dieser Stelle rundet sich die Ausstellung. Unser Blick könnte von Tim Lechlers figurativen Werken wieder hinüber springen zu den anfänglich erwähnten Figuren in Mouna Mousavibatars Bildern und so weiter. Es lohnt sich, den Blick mehrfach über die Bilder der Ausstellung gehen zu lassen.
Wir danken dem Künstlerbund herzlich für diese Möglichkeit auszustellen.
Holger Bunk
Stuttgart, 30.05.2018
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